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Future Migration: Netzwerk für kulturelle Diversität

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Es gibt mehrere hundert verschiedene Kultur[1] -Definitionen. (Tendenziell) rassialisiert eingeführt wurde Kultur beispielsweise von Geert Hofstede und Samuel P. Huntington. Kritisch neu gedacht wurde und wird Kultur unter anderem von Annita Kalpaka und Paul Mecheril. Die Theoriebezüge und damit einhergehend auch die (Nicht-) Berücksichtigung poststrukturalistischer und insbesondere postkolonialer Perspektiven, mit Hilfe derer in unterschiedlichen Disziplinen über Kultur nachgedacht wird, variieren stark. Wird Kultur (wie etwa in dem deutschen Wort “Leitkultur” oder in aktuellen Integrationsdebatten) als statische, homogene Größe verstanden, geht damit der Mythos einher, dass die Angehörigen einer Kultur in ihrem Denken, Handeln und Fühlen durch diese determiniert sind – so als seien sie entscheidungs- und handlungsunfähige Marionetten an den Fäden ihrer Kultur. Kultur wird so essentialisiert und als “von Natur aus gegeben” hergestellt.  So konturiert dient Kultur als Sprachversteck für Rassismus und seine Konstruktionen von “Rasse”: Den Angehörigen des anderskulturellen Großkollektivs wird ein gruppendeterminiertes Verhalten unterstellt, während Angehörige der eigenen Gruppe als Individuen betrachtet werden. (s. Leiprecht 2004). Der zugrunde liegende Mechanismus funktioniert dabei analog zu dem des Rassismus: Gruppen werden aufgrund von Kriterien, die die ideologische Konstruktion bestärken, definiert. Auf dieser Basis wird ihnen eine Kultur zugeschrieben und die Kulturen werden darauf aufbauend hierarchisiert und gewertet (s. Rommelsbacher 2009). Damit einher geht die Reproduktion einer Wir-Nicht-Wir-Dichotomie“[2],  die die zentrale Unterscheidungspraxis des rassistischen Systems darstellt. Häufig wird dabei auf ein Unterscheidungsschema rekurriert, das auf kultureller Differenz basiert. Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, dass es sich bei dieser hervorgebrachten Differenz nicht um eine selbstverständlich existente, sondern um eine (re-) produzierte konstruierte Differenz handelt, die in engem Zusammenhang mit gesellschaftlicher Herrschaft steht. Gelingt doch nur der sozialen Gruppe, die über Macht verfügt, eine Durchsetzung ihrer Konstruktion(en) der Anderen und damit einhergehend auch der eigenen versus “deren Kultur”. Von Edward Said wird dieses „Fremdmachen“ als „Othering“ bezeichnet. Betont wird hierbei, dass im Verlauf dieses Prozesses nicht nur Andere zu solchen gemacht werden, sondern damit stets (auch) die Konstruktion eines Wirs (als das vermeintlich überlegene Selbst) einhergeht. Während das Wir dabei unter anderem als (beruhigend) unambivalent konstruiert wird, stellt die Konstruktion der Anderen jeweils die binäre Opposition dar: Wir sind rational, die Anderen emotional, Wir sind zivilisiert, die Anderen ‚wild’ usw. (s. Said 1991). Im Kern dieser Konstruktion steckt der Binarismus, der Kultur der Natur als manichäsich überlegen darstellt. Einmal von Humanismus, Aufklärung und Moderne so aufgestellt, dient er als Hauptelixier aller Diskriminierungsnarrative: also etwa Mann versus Frau, hetereosexuell versus homosexuell, aber eben auch Westen versus der Rest, Weißsein versus People of Colour. So angelegt stellt die Hervorbringung einer westlichen Identität stets das Ergebnis eines Ausschlusses des Restes dar (s. Hall 1994). An die Dekonstruktion des statischen Kulturverständnisses schließt häufig ein hybrides Kulturmodell an, das Kultur nicht (mehr) als statisches, unveränderbar einheitliches Gebilde versteht, sondern die (potentielle) Unabgeschlossenheit und Prozesshaftigkeit von Kultur betont.
Jedoch wird auch in Kontexten, in denen ein hybrides Kulturverständnis vorherrschend ist, zwei Aspekten (zu) selten Beachtung geschenkt: Zum einen der Rolle, die Macht in diesem Zusammenhang spielt, zum anderen der Tatsache, dass auch hier Kultur als zentrales Unterscheidungskriterium herangezogen wird. Ein Nachdenken darüber, weshalb (immer noch) Kultur im Zentrum steht, findet dabei selten statt, obgleich ein solches dazu führen könnte, zu erkennen, dass ein Großteil der Aushandlungen, die (vorgeben) auf Kultur (zu) fokussieren, Aushandlungen von Exklusion und Inklusion darstellen. Damit einhergehend sind das Diskursangebot (bspw. Integrationsdebatten) ebenso wie fachwissenschaftliche Ausrichtungen (transkulturell, Diversity etc.) als zentraler Bestandteil dieser Problematik zu betrachten – wird doch auch hier nur selten über Prozesse der Kategorisierung nachgedacht. Notwendig ist deshalb ein analytisches Instrumentarium für die Werdungsprozesse der Kategorisierung auch im Rahmen von Wissensproduktionen im (und durch den) “Elfenbeinturm Wissenschaft”. Kritik sollte daher mit Michel Foucault als Bewegung verstanden werden, welche Wahrheit fortwährend auf Machteffekte hin befragt und Macht auf (eben diese) Wahrheitsdiskurse hin (s. Foucault 1992). Daran muss sich ein (kontinuierliches) Nachdenken über die (Un-) Möglichkeit einer Standpunktlosigkeit (auch) in der Wissenschaft anschließen und die Reklamation des Unpolitischen als Indiz für Wissenschaftlichkeit dekonstruiert werden, ist doch das Unpolitische das eigentlich Politische, weil es nicht markiert ist (s. u.a. Dirim et al. 2016).

Autorin: Nina Simon

Aysel Sultan danke ich für ihre Rückmeldungen und Korrekturvorschläge, die ich alle aufgenommen habe.


Literatur

Dirim, İnci et al. (2016): Nichts als Ideologie? Eine Replik auf die Abwertung rassismuskritischer  Arbeitseweisen. In: Mecheril, P. /Castro-Varela do Mar, M. (Hrsg.): Die Dämonisierung der       Anderen.         Rassismuskritik der Gegenwart, Bielefeld, 85-96.
Foucault, Michel (1992): Was ist Kritik? Berlin.
Hall, Stuart (1992): The West and the rest: dicourse and power, in: Hall, Stuart / Gieben, Bram: Formations           of Modernity. An Introduction. Book 1, Cambridge, 275-331.
Leiprecht, Rudolf: Kultur -Was ist das eigentlich?. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Arbeitspapiere        IBHM No. 7, Oldenburg 2004, ISSN 1438-7794, online verfügbar unter: https://www.uni-    oldenburg.de/fileadmin/user_upload/paedagogik/personen/rudolf.leiprecht/Kulturtextveroeffentl..pdf   (letzter Zugriff am 08.02.2017).
Rommelsbacher, Birgit (2009): Was ist eigentlich Rassismus: http://www.birgit-       rommelspacher.de/pdfs/Was_ist_Rassismus.pdf (letzter Zugriff: 08.02.2017).
Said, Edward (1991): Orientalism: Western Concepts of the Orient (New edition). London.



[1]    Die kursive Schreibweise bestimmter Begriffe/Konzepte in diesem Text dient zweierlei: Zum einen der Hervorhebung des (jew.) Konstruktcharakters, zum anderen der Sichtbarmachung der mit der Benutzung dieser häufig einhergehenden Problematiken.

[2]    im hegemonialen Diskurs meist als Wir-Die-Anderen-Dichotomie (re-)produziert

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